Aus der Vorgeschichte der theoretischen Ueberflaechenforschung
1956
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Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen;
Band 1: Über die Seele im Zeitalter der zweiten
technischen Revolution. München: Beck
So wie, wo das Leben als Traum gilt, Träume
als Leben gelten, so wirkt nun, da jede Realität
als Phantom auftritt, jedes Phantom real. (S. 143)
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1970
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Tarqu Nask'hirr: Éloge de la surface. (Unvollendetes
Manuskript, Aix-en-Provence)
Die gedankliche Trennung von Wesen und Erscheinung
basiert auf der Annahme, dass es unter der Oberfläche
der Dinge etwas gibt. Was aber, wenn dies eine Fiktion
ist? Was, wenn die Dinge mit Ihrer Erscheinung identisch
sind? Dann wäre die Welt durch die Erscheinung,
durch reine Oberfläche bestimmt. Und die Suche
nach einem unter den Oberflächen verborgenen ,Wesen
der Dinge' wäre eine Reise in den Wahn. [...] Die
Oberfläche gibt unserem Denken die Richtung vor.
Und sie ist es auch, die uns in die Irre führt.
Die Oberfläche selbst ist Ausgangspunkt der Dissemination,
die verbirgt, dass es unter ihr nichts gibt. (S. 23
- Übersetzung: Kytom L.)
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1978
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Jean Baudrillard: Agonie des Realen. Berlin: Merve
Heutzutage funktioniert die Abstraktion nicht mehr
nach dem Muster der Karte, des Duplikats, des Spiegels
und des Begriffs. Auch bezieht sich die Simulation nicht
mehr auf ein Territorium, ein referentielles Wesen oder
auf eine Substanz. Vielmehr bedient sie sich verschiedener
Modelle zur Generierung eines Realen ohne Ursprung oder
Realität, d.h. eines Hyperrealen. Das Territorium
ist der Karte nicht mehr vorgelagert, auch überlebt
es sie nicht mehr. Von nun an ist es umgekehrt: (PRÄZESSION
DER SIMULAKREN:) Die Karte ist dem Territorium vorgelagert,
ja sie bringt es hervor. (S. 7-8)
Das Charakteristische an der Simulation ist die Präzession
des Modells, aller Modelle, die über den winzigen
Tatsachen kreisen. Zunächst gebt es die Modelle
und ihr Zirkulieren [.] sie konstituieren das wirkliche
magnetische Feld der Ereignisse. Die Tatsachen besitzen
keine eigene Flugbahn, sie entstehen im Schnittpunkt
von Modellen, so dass eine einzige Tatsache von allen
Modellen gleichzeitig erzeugt werden kann. (S. 30)
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1983
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Vilém Flusser: Lob der Oberflächlichkeit
(veröffentlicht in: Vilém Flusser: Lob der
Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie
der Medien, Bensheim: Bollmann 1993)
Flächen sind Oberflächen von etwas: es
sind Häute. Die traditionellen Flächen sind
Oberflächen von Körpern. Die neuen Flächen
sind Oberflächen von Begriffen. Die traditionellen
Flächen sind Folge einer Bewegung vom Konkreten
weg ins Abstrakte. Die neuen sind Folge einer Bewegung
aus der letzten Abstraktion dem Konkreten entgegen.
Wo diese beiden entgegengesetzten Häute zusammentreffen,
dort stehen wir gegenwärtig. (S. 58-59)
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1985
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Vilém Flusser: Ins Universum der technischen
Bilder (zitiert nach: 6. Auflage, Göttingen: European
Photography 2000)
Technische Bilder sind eingebildete Flächen
[...] Und daher hat es für uns jeden Sinn verloren,
zwischen Eingebildetem und etwa nicht Eingebildetem,
zwischen Fiktivem und ,Realem' unterscheiden zu wollen.
Das abstrakte Punktuniversum, aus dem wir emportauchen,
hat uns gezeigt, daß alles Nichteingebildete ein
Nichts ist. Deshalb haben wir die Kriterien ,wahr/falsch',
,echt/künstlich' oder ,wirklich/scheinbar' aufgeben
müssen, um statt dessen das Kriterium ,konkret/abstrakt'
anzwenden. Die Einbildungskraft ist die Kraft des Konkretisierens
von Abstraktem. (S. 39)
Die traditionellen Bilder sind Spiegel, Sie fangen
die aus der Welt an uns herankommenden Bedeutungsvektoren
auf, codieren sie um und reflektieren sie, derart umcodiert,
auf einer Oberfläche. Daher ist es richtig, bei
ihnen zu fragen, was sie bedeuten. Die technischen Bilder
indessen sind Projektionen. Sie fangen bedeutungslose
Zeichen auf, die aus der Welt auf sie zukommen (Photonen,
Elektronen), und sie codieren sie, um ihnen eine Bedeutung
zu geben. Daher ist es falsch, bei ihnen zu fragen,
was sie bedeuten (außer man gäbe die bedeutungs-lose
Antwort: Sie bedeuten Photonen). Zu fragen bei ihnen
ist, wozu sie das, was sie zeigen, bedeuten. Denn was
sie zeigen, ist nur eine Funktion dessen, wozu sie bedeuten.
(S. 54)
Ich befinde mich also mitten im Universum der technischen
Bilder [...] Ich kann also weder rechts noch links,
weder nach oben noch nach unten schauen, um mein Universum
zu sehen. Das auf dem Monitor erstrahlende Bild beherrscht
mich. Aber ich habe ein derartiges Herumschauen auch
gar nicht nötig, denn was immer ich zu sehen wünsche,
kann mein Terminal sichtbar mache. (S. 137-138)
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1989
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Vilém Flusser: Bilder in den neuen Medien,
Vortrag Museum für Gestaltung Basel, 12.5.1989
(Nachdruck in: Vilém Flusser: Medienkultur, Frankfurt
am Main: Fischer 1997)
Überall zeigen sich Ansätze zu einer Umschaltung
des Bildertransports vor allem auf dem Gebiet der Computerbilder.
Dort können wir beobachten, wie Bilder von einem
Sender an einen Empfänger ausgesandt werden, um
von diesem verarbeitet und zurückgesandt zu werden
[...] Sollte diese Umschaltung gelingen, würde der
Begriff ,Bild' eine vierte, neue Bedeutung gewinnen.
Es handelte sich dann um eine körperlose Oberfläche,
auf welcher durch die Zusammenarbeit der Beteiligten
Bedeutungen entworfen werden könnten. Damit wären
aber auch die vorangegangenen Bedeutungen von ,Bild'
auf einer neuen Ebene ,aufgehoben'. Das Bild bliebe,
wie gegenwärtig, allgemein zugänglich, es
bliebe ein bequem transportierbares Multipel. Es hätte
sein politisches, erkenntnistheoretisches und ästhetisches
Potential wiedergewonnen., wie zu jener Zeit, in der
Maler seine Hersteller waren. Und vielleicht würde
es sogar etwas von seinem ursprünglich sakralen
Charakter wiedergewinnen. (S. 88)
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1991
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Bernhard Giesen: Die Entdinglichung des Sozialen.
Eine evolutionstheoretische Perspektive auf die Postmoderne.
Frankfuhrt am Main, Suhrkamp
Theorien enthalten Folgerungen, die niemand vorausgeahnt
hat, Bilder offenbaren in neuen Kontexten bisher ungekannte
Beziehungen, Computerprogramme liefern Antworten auf
Fragen, die niemand stellte. (S. 143)
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1995
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Jean Baudrillard: Illusion, Desillusion, Ästhetik.
In: Illusion und Simulation. Begegnung mit der Realität,
hrsg. von Stefan Iglhaut u.a., Ostfildern: Cantz
Der moderne Ikonoklasmus besteht nicht mehr im Bildersturm,
im Zertrümmern der Bilder, sondern umgekehrt in
der Herstellung von unzähligen Bildern, ,auf denen
es nicht zu sehen gibt'. Das sind buchstäblich
Bilder, die keine Spuren hinterlassen. Sie bleiben ohne
ästhetische Folgen - doch hinter jedem dieser Bilder
ist etwas verschwunden. Darin liegt ihr Geheimnis, und
eben das ist das Geheimnis der Simulation. Am Horizont
der Simulation ist nicht bloß die wirkliche Welt
verschwunden, sondern selbst die Frage nach ihrer Existenz
kann nicht einmal mehr gestellt werden. [...] Das Bild
kann das Reale nicht mehr bildlich darstellen, weil
es das Reale selbst ist, es kann es nicht mehr transzendieren,
verklären oder träumen, weil es dessen virtuelle
Realität ist. (S. 94-95)
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2002
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Manfred Faßler: Tiefe Oberflächen.
Virtualität, Visualisierung, Bildlichkeit. Köln:
Walther König
Ohne Oberflächenvertrauen geht es nicht mehr.
Dieses ist zugleich Fernvertrauen." (S. 12)
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Zusammenstellung: Michael Schetsche
1. August 2004
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